Bikulturelle Familien - deutsch-saudischen Familie

Bikulturelle Familien weltweit – Erfahrungen einer deutsch-saudischen Familie

Beziehungen und Familien, die mehrere Kulturen vereinen, sind eine Herausforderung, können aber auch wunderschön sein. Diese neue Reihe dreht sich um interkulturelle Familien in Deutschland und weltweit. Im ersten Teil stellt Maria aus München ihr Leben mit saudischem Ehemann und zwei gemeinsamen Kindern in Deutschland und Saudi-Arabien vor. Bikulturelle Familien weltweit – Erfahrungen einer deutsch-saudischen Familie.

In Deutschland gibt es immer mehr internationale Partnerschaften, laut Statistik waren es zuletzt anderthalb Millionen. Es lässt sich zwischen binationalen und bikulturellen Partnerschaften unterscheiden. Binational heißt in der Regel, dass ein:e Partner:in einen anderen Pass hat. Bikulturelle Familien können denselben Pass haben, aber ein:e Partner:in ist dennoch durch eine oder mehrere andere Kulturen geprägt.

Kulturelle Einflüsse können in einer Partnerschaft und Familie eine große Bereicherung sein, führen aber auch zu gewissen Herausforderungen. In dieser neuen Reihe auf moderne-familie.de möchten wir einige faszinierende und lehrreiche Liebes- und Familiengeschichten vorstellen. Zum Auftakt durften wir Maria interviewen, die mit ihrer deutsch-saudischen Familie lange Zeit in Deutschland und jetzt in Saudi-Arabien wohnt.

Bikulturelle Familien in Deutschland – Kennenlernen in Münchner Klinik

Ihr seid ein deutsch-saudisches Paar mit zwei Kindern, magst du uns kurz erzählen, wie ihr euch kennengelernt habt und seit wann ihr zusammen bzw. eine Familie seid?

Wir haben uns Anfang 2015 in einer Münchner Klinik kennengelernt. Er war damals Assistenzarzt, ich in meinem Pflege Studium. Als mein Klinikpraktikum zu Ende war, wurden wir ein Paar. Verheiratet sind wir seit März 2019, neun Monate später kam unsere Tochter zur Welt.

Wie viel Zeit habt ihr als Familie in Deutschland bzw. Saudi-Arabien verbracht und wo möchtet ihr in Zukunft die meiste Zeit verbringen?

Wir haben bis vor einem Jahr in Deutschland gelebt, also sieben gemeinsame Jahre. September 2021 sind wir nach Jeddah gezogen, leben hier also knapp über einem Jahr. Wir möchten hier auch erst mal bleiben. Wohin es uns irgendwann einmal hinziehen wird, wird sich in der Zukunft zeigen. Es lebt sich hier deutlich besser, als ich dachte (lächelt).

Kulturelle Unterschiede – konservativ oder westlich? Weg der Mitte!

Wie prägen eure unterschiedlichen Hintergründe euch als Paar und habt ihr Tipps, um eine bikulturelle Beziehung rücksichts- und liebevoll zu gestalten?

Der kulturelle Unterschied war schon zu Beginn der für uns schwierigste Teil. Mein Mann war schon einmal verheiratet (eine Saudi-Ehe) und hatte seine ganz eigene, eher konservative Vorstellung von Ehe und Familie. Ich bin westlich aufgewachsen und beispielsweise gewohnt, den Haushalt als Paar gemeinsam zu machen.

Ebenso war für mich klar, dass wir für unseren Lebensunterhalt gemeinsam arbeiten. Hier durften wir unseren ganz eigenen Weg, ich nenne ihn gerne „den Weg der Mitte“ kreieren. Wir sind weder typisch westlich (beide Partner teilen alle Arbeiten 50:50 auf) noch sind wir klassisch arabisch (Mann arbeitet, Frau sorgt für die Kinder). Einen Weg zu finden, der beiden passt, egal, wie unkonventionell er auch sein mag, ist für uns das Wichtigste überhaupt gewesen. Das herauszuarbeiten hat aber auch ein paar Jahre gebraucht (lacht).

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Tipps für harmonische bikulturelle Beziehung

  • Mein Tipp Nr. 1 für eine harmonische bikulturelle Beziehung ist, sich immer und immer wieder auf den Stuhl des Partners zu setzen und seine Perspektive einzunehmen, um Dinge aus seiner Sicht zu betrachten. Die Denk- und Handlungsweise des Partners wird so viel verständlicher, wenn man lernt Perspektive zu wechseln. Natürlich sollten beide auch bereit sein, Kompromisse einzugehen – das ist aber ein allgemein partnerschaftliches Thema, denke ich (lacht).
  • Mein Tipp Nr. 2 ist, das Herkunftsland des Partners zu bereisen und möglichst über einen Urlaub hinaus dort zu verweilen. Die Kultur von innen heraus zu erleben, sorgt für ein tieferes und ehrlicheres Verständnis. Ich empfinde es als sehr wertvoll für unsere Partnerschaft, einmal hier gelebt zu haben, da ich so viel mehr Respekt und Empathie und Verständnis für seine Perspektiven, und die dahinter liegende Prägung, habe.

Gibt es typische Streitpunkte, die sich vielleicht leicht vermeiden lassen, wenn man die Kultur des anderen besser kennt?

Das Thema Freundschaft zwischen Männern und Frauen war früher ein Thema bei uns. Ebenso die Erwartungen der Männer an sich selbst, für den Lebensunterhalt der Familie allein sorgen zu können. Jetzt, da ich direkt vor Ort in die Kultur hineinblicke, kann ich das alles besser verstehen.

Bikulturelle Familien – gemeinsame Erziehung und Werte

Welchen Einfluss haben eure unterschiedlichen Hintergründe auf euren Erziehungsstil und das alltägliche Familienleben?

Vermutlich hat mein Hintergrund, also ehemalige Waldorf-Schülerin, eher ländlich, naturverbunden groß geworden etc., mehr Einfluss auf unser Familienleben. Da mein Mann in seiner Kindheit aus politischen Gründen sehr wenige Möglichkeiten hatte, sich auszuprobieren, – z.B. gab es bis auf Fußball keine außerschulischen Aktivitäten – und ihn seine lange Zeit in Deutschland durchaus geprägt hat, haben wir viele gemeinsame Werte, die wir mitgeben.

Ein Unterschied ist jedoch bspw. dass hier der Fernseher zum Alltag gehört und ich das so nicht kenne. Außerdem gehen hier Kinder deutlich später ins Bett (lächelt) als in Deutschland – unter anderem um der Hitze zu entfliehen.

Ist zweisprachige Erziehung für euch ein Thema und welche Erfahrungen habt ihr ggf. bisher damit gemacht? Tipps?

Ja, wir leben zwei bzw. dreisprachig, das ist nicht immer einfach. Als Familie sprechen wir deutsch, mein Mann und die Familie mit den Kindern arabisch und im Kindergarten ist alles zweisprachig englisch und arabisch. Den einzigen Tipp – ich bin hier nicht ausgebildet – den ich bisher geben kann ist, sich nicht verrückt zu machen und an einer bestimmten Routine festzuhalten. Mit mir sprechen die Kinder z.B. immer deutsch, mit der Familie meines Mannes immer arabisch…

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Besonderheiten als Frau und Mutter in Saudi-Arabien?

Was ist für dich als Frau und Mutter, die in Saudi-Arabien lebt, besonders gewöhnungsbedürftig, und ist es einfach, sich gesellschaftlich zu integrieren?

Eine gute Frage: Also allgemein war es für mich deutlich leichter als erwartet, hier Anschluss zu finden. Die Spanne der verschiedenen Schichten, zwischen modernen und konservativen Lebensweisen, ist groß. Ich musste hier meine Nische finden, die sich irgendwie aus Expat, Saudi, Ehefrau und modernem Lebensstil zusammensetzt.

Mit den sehr konservativen Saudis, also ganz verhüllte, streng religiöse, habe ich tatsächlich etwas Schwierigkeiten, in Verbindung zu treten. Das geht aber auch vielen Einheimischen so und hat weniger mit meiner Herkunft zu tun, als mit der Art, wie ich lebe. Man darf nicht vergessen, ich lebe in einer Großstadt, hier ist alles für modern lebende einfacher als auf dem Dorf.

Gibt es Gegenstände oder Gewohnheiten aus Deutschland, die du in Saudi-Arabien sehr vermisst?

Ja – die Auswahl an veganen Lebensmitteln, meine Lieblingsfirma für Nahrungsergänzungsmittel vermisse ich. Einfach so aus dem Haus zu gehen, um in der Natur spazieren zu gehen oder Fahrrad zu fahren, vermisse ich sehr. Es ist einfach schon sehr, sehr sonnig und sandig (lacht).

Was wissen Menschen in Deutschland über Saudi-Arabien?

Hast du den Eindruck, dass Menschen in Deutschland gut über Saudi-Arabien informiert sind? Wissen Saudis viel über Deutschland?

Ich bin schockiert, wie undifferenziert, einseitig, ja, beinahe dramatisierend viele Nachrichten und Informationen über das Königreich Saudi-Arabien (KSA) in Deutschland, aber auch vielen anderen Ländern, verbreitet werden. So richtig wollte ich das von Saudis nie glauben, da ich Welt, Fokus, ZDF und Co. alles eins zu eins geglaubt hatte.

Erst als ich mit eigenen Augen sah, was das Leben hier wirklich mit sich bringt, konnte ich mich von sehr vielen Drama-, Terror- und Panik-Infos distanzieren. Wir sollten alle vorsichtig sein, welche Infos wir an uns heranlassen. Jetzt, da das Land für den Tourismus offen ist, können sich Menschen selber ein Bild machen. Das schenkt Hoffnung.

Saudis haben eine sehr hohe Meinung von Deutschland. In ihren Augen sind wir hart arbeitende, sehr korrekte, sehr pünktliche, strenge, zuverlässige und vertrauenswürdige Menschen. Was mich traurig stimmt ist, dass hier viele denken, dass alles, was aus dem Westen kommt, automatisch besser und weiter entwickelt ist, als das Eigene.

 

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Kannst du ein Buch oder einen guten Film empfehlen, mit dem man als Saudi-Arabien-Laie das Land etwas besser kennenlernen kann?

Hm, schwierig. Leider finde ich, haben die meisten Bücher – auch selbst die neuen wie Couchsurfing in Saudi-Arabien einen mit westlichem Blick wertenden Beigeschmack. Manchmal fehlt mir da Offenheit und Weitblick. Die meisten Bücher, die ich gelesen haben, waren voller Horrorstorys.

Da sich innenpolitisch gerade extrem viel verändert, würde ich nur Bücher lesen, die dem aktuellen Zeitgeschehen nahe liegen. Es sei denn, man feiert Horrorgeschichten und kann damit differenziert umgehen. Zeitlich würde ich alles, das ab 2019 veröffentlicht wurde, empfehlen. Zwei konkrete Tipps:

  • Couchsurfing in Saudi-Arabien – von Stephan Orth, der nur zu Gast im KSA war
  • Inside Saudi-Arabien: Mein Leben als Deutscher in einem der verschlossensten Länder der Welt – von Toni Riethmaier, hat 15 Jahre hier gelebt, aber vor dem Beginn des Umbruchs viele seiner Infos sind schlichtweg veraltet; trotzdem ein sehr interessantes Buch, da mehr als nur Besucherbericht

Vielen Dank für diesen spannenden und wertvollen Einblicke, liebe Maria, dir und deiner Familie weiterhin von Herzen alles Gute!

Bikulturelle Familien in Deutschland und weltweit – eure Erfahrungen?

Wir freuen uns darauf, weitere Erfahrungen und Geschichten über bikulturelle Familien zu veröffentlichen. Welche Erfahrungen habt ihr als bikulturelle Familie in Deutschland oder in anderen Ländern gemacht? Gibt es Tipps, die ihr mit Menschen in einer ähnlichen Situation teilen möchtet? Meldet euch sehr gerne per Kommentar oder E-Mail bei uns, wenn ihr einen Bericht beisteuern oder interviewt werden möchtet. 

Artikelbild: www.instagram.com/maria.bosse.tcm

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Die Autoren

Imke und Jonny

Imke und Jonny sind Eltern von drei Kindern und bloggen auf moderne-familie.de über ihren Lebens- und Familienalltag – vom Windelwechseln über Familienreisen bis hin Erziehungsfragen. Außerdem befassen sich sie sich in Interviews und Fachbeiträgen mit Familienkonzepten im Wandel.

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